“Die Gauneroper”
Theater-AG des Dahner Otfried-von-Weißenburg-Gymnasiums zeigt Vaclav Havels „Gauneroper”
Es ist ein sehr anspruchsvoller Stoff, an den sich die Theater-AG des Dahner Otfried-von-Weißenburg-Gymnasiums mit der „Gauneroper” des tschechischen Schriftstellers und Staatsmanns Vaclav Havel gewagt hat. Doch die jungen Darsteller bewältigten bei ihrer Premiere auf der Bühne des Fischbacher Wasgau-Theaters das Schauspiel in 14 Bildern mit Bravour.
Das Stück spielt in der Welt des organisierten Verbrechens mit all seinen unseligen in- und externen Verflechtungen. So hat „Die Gauneroper”, obwohl sie auf John Gays 1728 in London uraufgeführte „Beggar’s Opera” zurückgeht, nichts von ihrer beklemmenden Aktualität verloren. Politisch und ethisch hoch brisante Fragen gekonnt herausgearbeitet zu haben, ist eine großartige Leistung der OWG-Inszenierung unter AG-Leiter Stefan Waechter. Was sich in der „Gauneroper” vor dem Publikum auftut, ist eine abgrundtief verkommene Welt der Intrigen und des Verrats, eine Welt ohne Ethik, in der jeder jeden instrumentalisiert und sogar die Liebe selbst prostituiert wird. Wer sich an die destruktiven Spielregeln nicht hält, zahlt dafür; bestenfalls mit dem Verlust seiner Illusionen, schlimmstenfalls mit dem Leben. In teilweise wechselnder Besetzung und mit großer schauspielerischer Hingabe bringt ein Dutzend junge OWG-ler die bis in die tiefsten Abgründe ihrer Seelen ausgeleuchteten Charaktere auf die Bretter.
Da ist „Mack” Macheath (Georg Bohn), der skrupellose, intelligente Chef einer Diebesbande und verführerische „Mädchenjäger”, der mit „innovativen” Geschäftspraktiken den gesamten Markt beherrschen will. Sein erbitterter Widersacher William Peachum (Anna Landau), Boss einer weiteren Diebesbande, der auf die Einhaltung klarer Reviergrenzen besteht, wirkt gegen den smarten Mack beinahe seriös. Ein Heiliger ist er jedoch ebenso wenig wie Polizeikommandant Bill Lockit (Kai Hermann): Auch der bigotte Staatsdiener dient ausschließlich seinen eigenen Interessen. Unermüdlich betonend, dass er nur mit Hilfe der Gangster dieselben bekämpfen kann, scheut er sich als Duzfreund Peachums nicht, aus dessen Hand Diebesgut als Geschenk anzunehmen.
„Damensalon”-Besitzerin Diana gibt sich kultiviert, ist letztlich jedoch ebenfalls eine knallharte Geschäftsfrau. Ganz anders hingegen der „selbstständige” Dieb Harry Filch (Fabian Roesinger). Er verficht einen Ehrenkodex für Gauner und resigniert, als er diese „Werte” schwinden sieht. Während Peachum die eigene Tochter Polly (Kyra-Doreen Ruppert) als Lockvogel für Macheath missbraucht, tun dies Diana (Lisa Gunklach) und Lockit mit der Dirne Jenny (Eva Korn). Diese zerbricht an der Leib-Seele-Trennung ihres Gewerbes und balanciert am Rande einer Persönlichkeitsspaltung. Oder ist auch das nur eine bewusste Täuschung?
Irgendwann nämlich drehen sich alle in Teufelskreisen; in ihren eigenen und in denen der anderen. Sie finden sich wieder in einem verwirrenden Spiegelkabinett der Manipulationen, ihr Dasein driftet ab in austauschbare Beliebigkeit: „Ich will nicht mehr leben, ich passe nicht in diese Welt”, sagen unabhängig voneinander „Mack” und Filch. Auch in den Ehefrauen Elizabeth Peachum (Sabrina Weis) und Mary Lockit (Caroline Schnebel) zeigt sich die Spiegelbildlichkeit: Die eine säuft, die andere frisst heimlich.
Ehrlichkeit und aufrichtige Emotionen, wie sie etwa Polly anfangs hegt und daher von ihrem Vater als „Schlampe” beschimpft wird, bilden eine Gefahr für das System. Die Werte einer humanen Welt werden somit auf den Kopf gestellt, das Dasein selbst pervertiert. Satirische Anklänge des Stücks können und wollen nichts beschönigen, allenfalls mildern. Es ist bittere Ironie, dass Filch am Ende als einziger gehenkt wird; hingerichtet nicht von einer Diebesorganisation, sondern von der „Organisation” Staatsmacht. Weil er an Gaunerehre glaubt und diesem Glauben märtyrerhaft konsequent bis zum Strang treu bleibt, wird er zur – bezeichnenderweise nur eine Nebenrolle spielenden – Lichtgestalt der „Gauneroper”.
In weiteren Rollen waren zu sehen: Maren Horch, Lisa Hoffmann, Kristin Breitsch, Torsten Woll, Jessica Vaughan, Selina Burkhart, Larissa Burkhart und Dennis Buttell.
Brigitte Leyenberger-Schiel